Zappelig, unaufmerksam und störend – für Lehrer und Mitschüler ist ein junger ADHS-Patient in der Klasse eine Herausforderung des Alltags. Auch Eltern und Freunde leiden oft mit und unter dem kleinen Patienten, der dank Konzentrationsschwierigkeiten, Impulsivität und Hyperaktivität große Probleme hat, den schulischen und privaten Alltag zu meistern. Verschiedene Therapieansätze können dabei helfen, die Konzentrationsfähigkeit zu verbessern und mehr innere Ruhe zu finden. Als Teil des multimodalen Therapiekonzeptes kommen oft auch Medikamente zum Einsatz. Der bewährte Wirkstoff Methylphenidat findet sich auch in den drei unterschiedlichen Varianten von Medikinet.
Wirkstoff Methylphenidat: Was steckt dahinter?
Schon in den 1930er Jahren des letzten Jahrhunderts war bekannt, dass Amphetamin Einfluss auf „Zappelkinder“ nehmen kann. In den 1940er Jahren wurde Methylphenidat entwickelt und etwa zehn Jahre später unter dem Namen „Ritalin“ vermarktet. Anfangs vor allem als Aufputschmittel genutzt, war das Arzneimittel mehr als 15 Jahre freiverkäuflich. Seit Anfang der 1970er Jahre sind die Medikamente mit Methylphenidat als verkehrsfähige Betäubungsmittel klassifiziert.
Spannenderweise begann der Siegeszug des Wirkstoffs als Mittel der Wahl zur Behandlung von ADHS erst nach Ende der Patentbindung. Recht bald folgte das Fertigarzneimittel Medikinet dem bis dahin einzigartigen Ritalin. Es war das erste Produkt mit Methylphenidat, welches zur Behandlung von Erwachsenen mit ADHS-Erkrankung zugelassen wurde.
Wirkprinzip / Pharmakologie: Was passiert im Körper?
ADHS-Patienten weisen in bestimmten Teilen des Gehirns auffällig niedrige Konzentrationen bestimmter Neurotransmitter auf. Diese körpereigenen Botenstoffe sind für die Reizverarbeitung von Bedeutung. Mithilfe der medikamentösen ADHS-Therapie wird diese Konzentrationen der Neurotransmitter auf ein normales Maß angehoben. In der Folge entwickelt der Patient eine erhöhte Aufmerksamkeitsspanne, eine bessere Konzentrationsfähigkeit und zeigt weniger Impulsivität. Weil die Konzentration der Botenstoffe unspezifisch beeinflusst wird, kommt es neben diesen erwünschten Wirkungen auch zu zahlreichen Nebenwirkungen.
Anwendung: Wann und wie sollte Medikinet eingenommen werden?
Das Arzneimittel Medikinet gibt es in drei unterschiedlichen Varianten: Als Medikinet mit kurzer Wirkdauer, als Medikinet Retard mit teilweise verzögertem Wirkeintritt und als Medikinet adult, welches für die Anwendung bei Erwachsenen zugelassen ist und inhaltlich Medikinet Retard entspricht.
Bei der Einnahme von „normalem“ Medikinet mit kurzer Wirkdauer ist eine Aufteilung der Gesamtdosen auf zwei Teildosen empfehlenswert. Die Wirkdauer liegt bei drei bis vier Stunden, weshalb mit einer Einnahme beim Frühstück der Vormittag bis zur Mittagszeit gut abgedeckt ist. Eine zweite Gabe am Nachmittag kann regelmäßig oder nach Notwendigkeit für eine zweite Phase mit verbesserter Konzentration und verminderter Impulsivität sorgen. Heute nutzen viele Patienten im Alltag dennoch lieber die Retard-Produkte. Sie enthalten in den Mengen halb und halb sofort verfügbares und retardiertes Methylphenidat, bei welchem erst nach etwa 4 Stunden die Freisetzung aus den löslichen Pellets beginnt. Die Produkte Medikinet Retard und Medikinet Adult müssen deshalb nur einmal täglich am Morgen eingenommen werden und wirken dennoch für etwa acht Stunden. Die Einnahme am Abend ist nicht empfehlenswert, weil sie zu Schlaflosigkeit führen könnte.
Während bei Medikinet mit sofortiger Wirkung der Einnahmezeitpunkt rund um das Frühstück unbedeutend ist, sollten die Retard-Produkte immer vor oder zum Frühstück geschluckt werden. Wichtig ist außerdem, dass es sich um ein festes Frühstück wie Brot oder Müsli handelt. Wird das Produkt nur mit Flüssigkeit geschluckt, so verändert sich die Wirkstofffreisetzung.
Nebenwirkungen: Welche unerwünschten Wirkungen treten auf?
Die Anwendung von Medikinet ist nicht ohne Grund stark reglementiert. Sie darf nur nach einer umfassenden Diagnostik und als Teil einer multimodalen Therapie durchgeführt werden. Der Wirkstoff Methylphenidat kann zahlreiche heftige Nebenwirkungen hervorrufen. Zu den häufig auftretenden, gefährlichen Nebenwirkungen gehören zum Beispiel:
- Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems wie Herzrhythmusstörungen, Herzrasen (Tachykardie), sowie Bluthochdruckspitzen, Herzinfarkt und Schlaganfall
- Suizidalität: erhöhte Selbstmordneigung und Selbstmordversuche
- schwere Hautveränderungen mit Entzündungen und großflächigen Schwellungen (Quincke-Ödem)
Weiterhin kommt es sehr häufig zu den folgenden unerwünschten Wirkungen, welche zwar im ersten Schritt nicht lebensbedrohlich erscheinen, aber eine regelmäßige Kontrolle erforderlich machen:
- Appetitlosigkeit mit in der Folge vermindertem Größenwachstum und Gewichtszunahme
- nächtliche Ruhelosigkeit und Schlafstörungen bis hin zur Schlaflosigkeit
- motorische Störungen wie Schwindel, Hautkribbeln und Muskelzuckungen (Tics)
- psychische Störungen wie Depression, Reizbarkeit, Aggressionen und emotionale Labilität
- Magen-Darm-Störungen mit Sodbrennen, Übelkeit, Erbrechen und Verstopfung
- Spannungskopfschmerzen und Sehstörungen
- Verwirrung bis hin zu Halluzinationen sowie Manien und Psychosen
Bei der Anwendung von Medikinet kann es außerdem in seltenen Fällen zu Veränderungen im Blutbild und zu anderen schwerwiegenden Nebenwirkungen kommen. Bei unerklärlichen Beschwerden sollten Eltern und Patienten unverzüglich ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen.
Gegenanzeigen: Wann darf man Medikinet nicht einnehmen?
Damit der Arzt bewerten kann, ob Medikinet die passende Medikation darstellt, muss er vollumfänglich über alle Vorerkrankungen und andere Medikamente informiert werden, welche der Patient einnimmt. Bei einigen Krankheiten ist eine Einnahme von Medikinet kontraindiziert. Dazu gehören beispielsweise:
- Glaukom: eine Druckveränderung im Auge
- Suchterkrankungen (in Vergangenheit und Gegenwart wegen des Abhängigkeitspotentials)
- Hyperthyreose: Überfunktion der Schilddrüse
- psychische Erkrankungen wie Psychosen oder Depressionen, insbesondere, wenn sie medikamentös behandelt werden
- Phäochromozytome: Tumorbildung im Nebennierenmark
Medikinet ist glutenfrei und damit auch für Patienten mit Gluten-Intoleranz geeignet. Bei Patientinnen im gebärfähigen Alter wird eine zuverlässige Schwangerschaftsverhütung empfohlen, weil keine gesicherten Daten zur Behandlung von ADHS während der Schwangerschaft vorliegen.
Wechselwirkungen: Mit welchen Medikamenten oder Lebensmitteln verträgt sich Medikinet nicht?
Wechselwirkungen sind ein weit verbreitetes Problem, welches bei der Anwendung mehrerer Medikamente, aber auch im Zusammenhang mit Lebensmitteln auftreten kann. Im Hinblick auf die Einnahme von Medikinet muss besondere Vorsicht angewendet werden bei der gleichzeitigen oder zeitnahen Anwendung von
- MAO-Hemmern – zeitgleiche Einnahme verboten, mindestens 14 Tage Pause zwingend erforderlich
- Blutdrucksenkern (Amantadin und Guanethidin), weil deren Wirkung reduziert wird
- Antikoagulantien – Blutgerinnungshemmer vom Cumarintyp
- Antiepileptika – Arzneimittel gegen Epilepsie
- psychotherapeutische Arzneimittel – Neuroleptika und trizyklische Antidepressiva
Bei den Antikoagulantien, Antiepileptika, Neuroleptika und trizyklischen Antidepressiva kann es passieren, dass Medikinet deren eigene Wirkung verstärkt. Die Dosis dieser Medikamente muss angepasst werden. Zu Wechselwirkungen kann es auch mit rezeptfreien Arzneimitteln kommen. Deshalb ist es wichtig, dass auch vermeintlich harmlose Mittel vorab mit dem Arzt oder Apotheker besprochen werden. Ein wichtiges Beispiel sind Antazida gegen Sodbrennen: Eine schnellere Freisetzung der retardierten Methylphenidats im Medikinet und damit ein aufgeputschter Zustand könnten die Folge sein. Auch Alkohol beeinflusst die Medikinet-Therapie negativ.
Quellen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Amphetamin#Isomere
https://www.adhspedia.de/wiki/Medikamente
http://flexikon.doccheck.com/de/Methylphenidat
https://de.wikipedia.org/wiki/Methylphenidat
https://www.adhspedia.de/wiki/Medikinet